Lässt sich das Konzept von Rasayana auch im Yoga finden?

von Birte Sattler, erschienen im Ayurveda-Journal Nr. 56

Im Ayurveda versteht man unter dem Konzept „Rasayana“ Mittel oder Maßnahmen zur Regeneration der Körperzellen. Damit können Leistungsfähigkeit und Abwehr gesteigert und dem Alterungsprozess des Organismus entgegengewirkt werden. Manchmal spricht man bei Rasayana auch von Verjüngungsmitteln.

Gesundheit aus ayurvedischer Sicht

Schauen wir uns zunächst an, was der Begriff Gesundheit – Svastha – aus ayurvedischer Sicht bedeutet. Es heißt in der Sushruta Samhita, dass ein Mensch gesund genannt werden kann, wenn die Funktionsprinzipien (Vata, Pitta, Kapha), die Verdauung und der Stoffwechsel (Agni), alle Gewebe und Strukturen (Dhatus und Srotas) sowie alle Ausscheidungen (Mala) ausgewogen funktionieren und sich Sinne, Geist und Seele in einem Zustand des dauerhaften Glücks befinden.

Alterungsprozess

Mit zunehmendem Alter gerät all dies mehr oder weniger aus dem Gleichgewicht. Zum Beispiel kommt es zur Abnahme der Knochendichte, der Muskelmasse, der Festigkeit des Sehnengewebes, und die Stärke und Elastizität der Knorpel lässt nach. Was zunimmt, ist das Fettgewebe. Die Durchblutung und die Aufnahmekapazität von Sauerstoff reduzieren sich, wir werden mitunter anfälliger für Stress- und Lärmbelastungen, und unser Immunsystem hat es auch nicht immer leicht. Mit zunehmendem Alter verfügen wir aber auch über einen größeren Erfahrungsschatz, und wir entwickeln immer mehr Reife – etwas, das wir alle sehr schätzen.

Obwohl wir wissen, dass Leben immer auch Altern bedeutet, fällt es mitunter schwer, diese körperlichen Prozesse zu akzeptieren. Wir sind aber nicht zur Untätigkeit verdammt und müssen uns dem nicht resignierend hingeben. Es gibt viele Möglichkeiten, die Alterungsprozesse zu regulieren.

Rasayana

Hier greift das Konzept von Rasayana ein. Das Kernziel ist die Verzögerung der vorzeitigen Alterung. Voraussetzung dafür ist die Beseitigung und Kontrolle von Beschwerden, strukturellen Problemen und Beeinträchtigungen.

Rasayana lässt sich in zwei Bereiche einteilen:

  • Dravya: Hier kommen Heilkräuter etc. innerlich oder äußerlich zum Einsatz.
  •  Adravya: Hier wird ohne Heilkräuter etc. gearbeitet. Vielmehr geht es um unser Verhalten uns selbst und anderen gegenüber und um Stressmanagement und körperliche Bewegung in einer zuträglichen Art und Weise.
Achtgliedriger Pfad im Yoga

Im Bereich Adravya lässt sich der Yoga mit seinen acht Gliedern verankern:

  • Yama (Verhalten im Umgang mit der Welt)
  • Niyama (persönliche Lebensweise)
  • Asana (Körperhaltung)
  • Pranayama (Atemregulierung)
  • Pratyahara (Zurückziehen der Sinne)
  • Dharana (Konzentration)
  • Dhyana (Meditation)
  • Samadhi (Versenkung)

Aus Asana und Pranayama ist der Hatha-Yoga hervorgegangen, die vom Namen her wohl bekannteste Form des Yoga. Der Hatha-Yoga hat u. a. das Ziel, den physischen Körper zu reinigen und zu nähren sowie die Energien im Körper in ein harmonisches Gleichgewicht zu führen.

Asana

Mittels Asana kräftigen, dehnen und entspannen wir den Körper. Durch eine den aktuellen Bedürfnissen angepasste Yogapraxis können wir für ein ausgewogenes Zusammenspiel der Muskulatur sorgen. Gelenke, Bänder und Sehnen werden in ihrer Funktionsweise gestärkt. Asanas unterstützen die Gesunderhaltung, die Stabilität und Flexibilität unserer Wirbelsäule. Alle Organsysteme werden durch die Praxis von Asana gereinigt, gekräftigt und genährt.

Pranayama

Mit der Praxis von Pranayama reinigen und harmonisieren wir die Energiesysteme im Körper. Pranayama bewirkt eine Zunahme des Energieniveaus und der Konzentrationsfähigkeit. Es macht wacher und aufmerksamer. Pranayama führt zu einer inneren Ausgeglichenheit, zu einem Gefühl, mehr im Gleichgewicht mit sich selbst und der Umwelt zu sein.

Dieses erhöhte Energieniveau wirkt natürlich auch auf der physischen Ebene. Alle Strukturen und Funktionen profitieren von einem stabilen Zustand des Energiesystems.

Asana und Pranayama als Rasayana

Betrachtet man die Wirkung von Asana und Pranayama, lässt sich feststellen, dass sie dem Konzept von Rasayana durchaus entsprechen. Mit einer ausgewogenen Asana- und Pranayama-Praxis können wir Körperstrukturen verbessern sowie Funktionen stabilisieren und harmonisieren. Wir können unsere Lebensenergie erhöhen und den Fluss von Prana fördern. Vielleicht gelangen wir auch zu einem ruhigeren Geist.

Ein Pranayama, dass sich in vielen Yogarichtungen finden lässt und teilweise auch in die Asana-Praxis mit integriert wird, ist Ujjayi-Pranayama. Ujjayi wird übersetzt mit „die Siegreiche“ – gemeint ist damit der Sieg über den normalen, unregelmäßigen und flachen Atem.

Bei Ujjayi wird durch ein Verengen der Stimmritze ein feiner, ununterbrochener Reibelaut erzeugt, der sich zwischen Kehle und Brustraum entfaltet. Der Atem wird leicht hörbar und dadurch besser kontrollierbar. Er sollte fließen wie Öl. Üben wir Ujjayi-Pranayama, halten wir die Konzentration auf das Atemgeräusch ausgerichtet, was unseren Geist ruhig werden lässt. Ujjayi erhöht außerdem die Wärme im Körper.

Yogapraxis

Ujjayi-Pranayama im Sitzen
Sitzen Sie aufrecht und bequem, und lassen den Atem ruhig und bewusst fließen. Bringen Sie eine Hand vor den Mund und hauchen Sie in Ihre Hand – so, als würden sie einen Spiegel anhauchen. Spüren Sie den warmen, leicht feuchten Atem in Ihrer Hand. Weiter hauchend, schließen Sie langsam den Mund und legen die Hand bequem ab. Behalten Sie im Kehlbereich die Technik des Hauchens bei. Nun beginnen Sie an der Feinheit zu arbeiten und lassen den Reibelaut feiner und sanfter werden. Lauschen Sie auf das Atemgeräusch und nehmen dieses ganz bewusst war.

Wenn Ihnen die Technik vertraut ist, können Sie beginnen zu variieren:

  • Atmen Sie ganz frei über beide Nasengänge ein und mit Ujjayi aus.
  • Atmen Sie mit Ujjayi ein und ganz frei wieder aus.
  • Atmen Sie mit Ujjayi ein und aus.

Spüren Sie nach innen: Was ist der Unterschied? Was fällt Ihnen leichter?

Beginnen Sie mit drei bis fünf Atemzügen. Sind Sie nach einer Weile mit dieser Übung vertraut, können Sie die Anzahl der Atemzüge langsam steigern. Gehen Sie achtsam vor!

Ujjayi mit Armbewegungen

Suchen Sie sich einen Ort, an dem Sie Platz zu den Seiten und nach oben haben. Das kann in der Wohnung sein, auf dem Balkon, auf einer Wiese oder im Wald.

Stehen Sie aufrecht, die evtl. nackten Füße hüftbreit geöffnet. Die Arme lassen Sie seitlich neben dem Körper ihren Platz finden.

Spüren Sie Ihre äußere Körperhaltung: Wie ist die Verbindung über die Füße mit dem Boden, der Erde? Wie ist die Aufrichtung in die Weite des Raums? Wie fließt der Atem im Stehen?

Beginnen Sie sanft in Ujjayi zu atmen und lauschen für ein paar Atemzüge dem Geräusch. Spüren Sie, wie der Atem sich entfaltet.

Behalten Sie den Ujjayi-Atem bei und beginnen Sie, Ihre Arme wie folgt zu bewegen:

  • Einatmend führen Sie die Arme über vorn nach außen in die Weite – als würden Sie Flügel ausbreiten. Heben Sie Ihren Herzensraum leicht nach oben an.
  • Ausatmend führen Sie die Arme langgestreckt zurück nach vorn und legen die Handflächen aneinander.
  • Einatmend führen Sie die langgestreckten Arme nach oben und strecken sich in Ihren Seiten.
  • Ausatmend führen Sie die Arme weit über die Seiten wieder nach unten zurück.

Nehmen Sie sich einen Atemzug Zeit, um die Wirkung zu spüren. Wiederholen Sie dann den oben beschriebenen Bewegungsablauf – so oft es Ihnen guttut.

Beenden Sie mit einem Nachspüren und nehmen Sie die Wirkung wahr: das Körperempfinden, den Atem, die Vitalität und Lebensenergie in den bewegten Bereichen.

Die Übungsfolge „Ujjayi mit Armbewegungen“ kann auch im Sitzen oder Liegen geübt werden. Folgen Sie einfach den Bedürfnissen Ihres Körpers.

Viel Freude beim Ausprobieren!